Kratylos

Der Anfang des Kratylos in der ältesten erhaltenen mittelalterlichen Handschrift, dem 895 geschriebenen Codex Clarkianus (Oxford, Bodleian Library, Clarke 39)

Der Kratylos (altgriechisch Κρατύλος[1] Kratýlos, lateinisch Cratylus) ist eine Schrift des griechischen Philosophen Platon. Das in Dialogform verfasste Werk bildet den Ausgangspunkt der europäischen Sprachphilosophie und Sprachwissenschaft. An dem fiktiven, literarisch gestalteten Gespräch sind drei Personen beteiligt: Platons Lehrer Sokrates, der Philosoph Kratylos, nach dem der Dialog benannt ist, und dessen Freund Hermogenes.

Erörtert wird die Stichhaltigkeit der Behauptung, dass nicht nur Aussagen richtig oder falsch sind, sondern es auch eine Richtigkeit von Namen und Bezeichnungen gibt. Dies ist dann der Fall, wenn Bezeichnungen ihren Gegenständen nicht willkürlich, sondern von Natur aus zugeordnet sind und die Beschaffenheit der Gegenstände wahrheitsgemäß ausdrücken. Wenn jede korrekte Bezeichnung das aussagt, was das Bezeichnete tatsächlich ist, ermöglicht die etymologische Untersuchung der einzelnen Wörter, indem sie deren Sinn erhellt, Rückschlüsse auf das Wesen der mit ihnen bezeichneten Dinge. Kratylos ist von der natürlichen Richtigkeit der Wörter überzeugt (semantischer Naturalismus), während Hermogenes von der Hypothese einer willkürlichen Vereinbarung der Wortbedeutungen ausgeht (Konventionalismus). Sokrates setzt sich mit beiden Konzepten kritisch auseinander.

Nach Untersuchung der theoretischen Voraussetzungen sowie zahlreicher Beispiele verwirft Sokrates sowohl die Vermutung, dass die Zuordnung von Bezeichnungen und Dingen auf zufälliger Konvention beruht, als auch die gegenteilige Position, der zufolge alle Bezeichnungen objektiv „richtig“ sind und daher eine grundsätzlich erkennbare Wahrheit über das Wesen der Dinge enthalten. Nach Sokrates’ Ansicht haben die „Wortbildner“ oder „Namensgeber“ als Urheber der Bezeichnungen diese zwar sinnvoll zuordnen wollen, dabei aber Irrtümer begangen. Zu gesicherter Erkenntnis dessen, was die einzelnen Dinge sind, kann man somit durch Untersuchung von Wörtern nicht gelangen. Vielmehr hat der Philosoph die Dinge selbst unabhängig von ihren Bezeichnungen zu erforschen.

Der Kratylos gilt als eines der schwierigsten Werke Platons. In der neueren Forschung wird seine wegweisende Bedeutung für die europäische Sprachphilosophie gewürdigt: Die Überlegungen im Dialog erscheinen als Weichenstellung in eine Richtung, die schließlich zur modernen Zeichentheorie der Sprache führte.

  1. Dies ist die Schreibung der Herausgeber; abweichende Schreibung: Κράτυλος.

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